HICA

Berichte und Interviews / Reports and Interviews

Mit Leidenschaft in die Geschichte eintauchen und restaurieren

"Delving with passion into history and restoration"



Gesine Millhoff
16.03.2004 Mannheimer Morgen
Interview with the newspaper Mannheimer Morgen


Denn die Weinheimerin ist ebenfalls in China geboren und aufgewachsen und besitzt noch asiatische Holzschnitte, die ihr der Vater, der als Arzt bis 1949 in China tätig war und sogar Madame Chiang Kai-Tze behandelt hat, überlassen hat. Und die möchte sie den fachkundigen Händen der Restauratorin anvertrauen. Oder jene Geschichte über einen Südseekönig, der nach dem ersten Weltkrieg seine Insel und fast sein gesamtes Hab und Gut verloren hatte und nur mit einer kleinen Bilder-Sammlung nach Europa kam. Seine Tochter brachte eines der Bilder zur Mannheimer Restauratorin

Heute zählt die Werkstatt von Hai-Yen-Hua zu den modernsten und renommiertesten in Europa. Auf 1000 Quadratmetern reihen sich an den Kopfenden langer Arbeitstische unzählige Messer, Pinsel, Mörser, Tiegelchen und Töpfe aneinander.

Zurzeit liegt ein zwei mal zwei Meter großes japanisches Mandala auf ihrem "Operationstisch" - datiert auf 729 nach Christus. In der Mitte der zentrale Buddha, weltliche Geschichten umranden das riesige Meditationsbild. Im Vergleich dazu wirkt die Asiatin recht zierlich: "Ich bin mit 1,50 Metern die kleinste Restauratorin mit oft den größten Bildern", lacht sie. Der bemalte Wandbehang aus Seide ist in einem bemitleidenswerten Zustand: Der Stoff ist bereits brüchig, hat äußerst viele Risse und Fehlstellen. An zahlreichen Stellen hat sich über die Jahre Grünspan gebildet. "Eine große Gefahr für jedes Kunstwerk", erklärt die Expertin. "Durch Oxidation ist Säure entstanden, die die Seide allmählich zerfrisst."

Am Anfang von über 20 Arbeitsschritten steht das Zustandsprotokoll. Es gleicht detektivischer Kleinarbeit, denn mit der Bestandsaufnahme geht auch die Rekonstruktion der Geschichte der Kunstwerke einher, das Aufspüren von Materialschäden und falscher Handhabung. Jeden Riss und Kniff, jede Falte und Fehlstelle hält Hai-Yen Hua akribisch im Protokoll fest, bevor sie diese provisorisch fixiert. "Jede Bewegung des Wandbehanges würde sonst die Seide in tausend Teile zerbrechen."

In sorfältiger Arbeit muss das Mandala zunächst gereinigt werden. Erst trocken, mit einem ganz feinen Radierpulver, um den oberflächigen Schmutz behutsam zu entfernen. Danach bedarf es eines Neutralisierungsprozesses. Dann die außergewöhnlich sanfte Naßreinigung, mit einem speziellen Bewässerungssystem. "Das Waschen geht nur tröpfchenweise und unter speziellem Schutzflies für die Seide", erklärt die Restauratorin.

Erst jetzt kann die eigentliche Restaurierungsarbeit beginnen. Um die Fehlstellen mit Seide flicken zu können, wird der große Meditationsmandala über einen Leuchttunnel aus Plexiglas gehängt. "So komme ich mit den Händen auch bis zur Mitte des Bildes und kann die Löcher mit vorher eingefärbter Altseide Ton in Ton flicken. Dazu benutzt Hai-Yen Hua ausschließlich nach eigener Rezeptur gekochten Kleister mit Weizenstärke als Bindemittel. "Der ist jederzeit wieder abzulösen."

Viel Geduld, Ruhe, Fingerspitzengefühl, handwerkliches Geschick und künstlerische Begabung sind nötig, um solch eine Arbeit zu bewerkstelligen. "Und eine Portion Erfindungsgeist", ergänzt sie, "ich bin eine leidenschaftliche Tüftlerin." Die zur "Behandlung" der Kunstwerke nötigen Geräte und Werkzeuge entwickelt Hai-Yen Hua sehr oft selbst. Dazu gehören u.a. verschiedene Trockenwände, die sie auch als Wanne umfunktionieren kann, das Bewässerungssystem und ein Plexiglastunnel. Einige "Erfindungen" wurden sogar publiziert: Ein Niderdrucktisch, eine Neutralisierungsanlage sowie der Kleisterkocher.

Wenn das Mandala schließlich mit mehreren Lagen handgeschöpften Papier kaschiert und mit einer Schutzumrandung versehen ist, wird es auf die Trockenwand gespannt, um zu glätten und zu trocknen. Zuletzt folgt die Retusche, für die Hua eigens wasserlösliche Farbe aus verschiedenen Pigmenten anrührt. "Ich ergänze aber nur die Fehlfarbe im Hintergrund", betont die Restauratorin. Denn ein wichtiges Credo ihrer Zunft lautet, ein Kunstwerk niemals durch eigene Ideen zu verfremden. "Ich wollte und dürfte zum Beispiel nie ein Buddhagesicht niemals vervollständigen."

Ungefähr ein halbes Jahr dauern die Arbeiten für dieses Mandala. Dann geht es an seinen Besitzer zurück. Hua: "Das Schönste ist, wenn ich eine meiner restaurierten Arbeiten nach 20 Jahren zufällig wiedersehe und feststelle: Sie ist noch immer in einem guten Zustand."

Jedes Kunstwerk hat seine eigene Geschichte. Nicht nur dunkle Flecken, Risse und Fehlstellen verraten viel über seine oft wechselvolle Vergangenheit. Auch wie das Stück beim Besitzer oder dessen Nachfahren gelandet und schließlich zu Hai-Yen Hua gelangt ist, das bietet oftmals Stoff für viele weitere Geschichten. Die gebürtige Chinesin aus Taiwan restauriert alles, was auf Papier oder Textilien und Pergament gemalt oder gezeichnet ist: Aquarelle, Plakate, Zeichnungen, Globen, Landkarten, Tapeten, asiatische Rollbilder, Wandstickereien und Paravents. Große europäische Museen sind ihre Auftraggeber, aber auch namhafte Privatsammler zählen zu ihrem Kundenstamm.

Hua taucht bei der Behandlung ihrer Papier-und Textil-"Patienten" nicht nur in oft Jahrtausende zurückliegende Geschichte ein, sondern lernt mit den Besitzern der Werke auch viele interessante Menschen kennen. Man könnte ihren spannenden Erzählungen stundenlang zuhören. Als sie zum Beispiel den Krimi "Röslein Rot" auf chinesisch zugeschickt bekam - von der bekannten Autorin Ingrid Noll selbst.

Der Weg zum Traumberuf


Nichts ist beständiger als der Wechsel - so könnte man auch Hai-Yen Huas Weg zu ihrem Traumberuf beschreiben. Denn über zahlreiche Umwege gelangte die Asiatin vor fast 30 Jahren nach Europa. Nicht zuletzt der Liebe wegen. Nach dem Studium der Kunstgeschichte in Taiwan und der Schweiz entschied sie sich nach Amerika zu gehen, um dort am Illinois Institute of Technologie Design zu studieren. Der Übergang von der asiatischen zur europäischen Kunstgeschichte erwies sich als umfangreich und trocken. "Ich musste etwas Kreatives, etwas mit den Händen machen", sagt Hai-Yen Hua, deren Mutter schon Malerin war. Bei ihrem Studienaufenthalt in Chicago lernte sie ihren deutschen Mann kennen - und dessen Beruf als Chemiker im Rhein-Neckar-Dreieck führte sie schließlich in die Quadratestadt. Doch nach ihrem Aufenthalt in den USA ging sie zunächst noch einmal in die Schweiz zurück, um dort für 4 Jahre Farben und Zeichnen bei den weltberühmten Lehrern Kurt Hauert und Armin Hoffmann an der heutigen Kunstakademie in Basel zu studieren. Das hat ihr enorm viel gebracht, erzählt sie.


Nach ihrer Heirat direkt in Mannheim sesshaft werden? Das passt nicht zu der weltoffenen, quirligen Asiatin. Sie begann wieder mit dem Restaurieren - das hatte sie schon während ihrer Studienzeit Taiwan gelernt. Initialzündung für diese Tätigkeit war ein "furchtbar schlecht" restauriertes Bild, das sie bei ihrem Vater entdeckte. Da kribbelte es ihr wieder in den Fingern, diese Arbeit besser zu machen. Sie erinnerte sich an ihre Anfänge im Palastmuseum in Taiwan. Bei ihrem alten Meister wurden die Kenntnisse aufgefrischt. Anschließend bereist sie Institute und Museen auf der ganzen Welt: In Wien, München, Japan und England vervollständigte sie ihr Wissen. "Ich lerne leidenschaftlich gerne", erklärt sie, "und einen Diplom-Studiengang als Papierrestauratorin gab es damals noch nicht."

Wieder in Mannheim, arbeitete Hai-Yen Hua 10 Jahre als Grafikrestauratorin in der Mannheimer Kunsthalle. Ihre jetzige Werkstatt zählt heute zu den besteingerichtesten ihrer Art. Für Hai-Yen Hua ist es eine Leidenschaft - sie kann uralte asiatische Traditionen und Techniken mit modernen wissenschaftlichen Methoden verbinden. Gerne würde sie ihr umfangreiches Wissen auch weitergeben und jungen Menschen eine Chance zur Ausbildung anbieten. "Doch leider", bedauert sie, " ist ‚Restauratorin' kein Lehrberuf."